Verabschiedung in den Ruhestand oder das Ende einer fast unendlichen Geschichte

In unruhigen Zeiten 1989/90 und einem bemerkenswerten Schuljahr als neuer Schulleiter der POS Trinitatisschule 1990/91 reifte in der Region und ebenso in mir der Gedanke, ein neues Kapitel der Geschichte höheren Schulen aufzuschlagen.

Ich gestaltete diesen Prozess deshalb sehr intensiv und auch emotional mit.

Im Sommer 1991 wurde der Gedanke Wirklichkeit. Aus der POS entstand eine neue Schule, das Gymnasium. Ein wundervolles Ereignis!

„Quo vadis, Lyceum illustre Ordruvense?“,  fragten wir uns alle, als wir am 2. September die Schultore für 475 Schüler und 30 Lehrer öffnen durften. Zugleich fand ein Elternabend in einmaliger Größenordnung statt.

Bei der Eröffnungsfeier am 20.09.1991 gab Bürgermeister Klaus Scheikel schon mal eine Richtung vor, das Gymnasium solle die Nummer 1 in Thüringen werden!

Dies war vielleicht etwas hoch gezielt, aber in so mancherlei Hinsicht haben wir danach durchaus besondere Erfolge erreicht, die diesem Anspruch gerecht werden.

Nach und nach wurden wir uns der bedeutsamen Vorgeschichte höherer Schulen bewusst

(bereits 1564 als Lateinschule durch die Grafen Georg II und Gebhard von Gleichen gegründet, aber schon vorher im 15. Jahrhundert erwähnt und noch früher als erste Klosterschule um 724/25 mit Bonifatius in Verbindung gebracht/vgl. Krügelstein, S. 444, Böttcher, Band II, S. 84 und Hinrichs S. 16), die vermeintlich 1958 mit dem letzten Abiturjahrgang geendet hatte.

Nun galt es ab 1993 neue Jahrgänge in einer pluralistischen Gesellschaft bis zum Abitur zu begleiten.

Die ersten Jahre waren geprägt von einer grandiosen Aufbruchstimmung mit viel Euphorie und wenig Bürokratie, mit viel Engagement und einer sich rasch entwickelnden Schulgemeinde.

Die Jahre seither vergingen für mich wie im Flug.

Es war mir eine große Ehre und Freude zugleich, Verantwortung für die schulischen Prozesse zu tragen. Das Wohl des Einzelnen, aber auch der ganzen Gemeinschaft stand für mich dabei immer im Vordergrund.

Nun ist diese für mich prägende Zeit zu Ende und es gilt allen nächsten Generationen alles Gute für die Zukunft zu wünschen.

Doch zuvor möchte ich an dieser Stelle auf einige wenige Beispiele der über 31 Jahre eingehen, die ich für besonders bemerkenswert halte:

  • Der erste Schultag am 2. September 1991 mit allen Klassen 5 bis 11, der erste Elternabend und die Eröffnungsfeier am 20.09. im Hotel „Der Kaiser“ waren sehr prägend.
  • Die Namensgebung in Erinnerung an die Gründer im April 1992 vor 30 Jahren machte uns bis heute stärker vertraut mit der Schulgeschichte.
  • Die erste Abiturfeierstunde 1993 im Rokokosaal des Schlosses Ehrenstein bleibt allen in Erinnerung. Nach 35 Jahren erhielten 19 Absolventen wieder die begehrten Reifezeugnisse in Ohrdruf.
  • Die Schreckensmeldung „Zementrambo schießt Schulbus ab“ einer großen Boulevardzeitung berichtete vom Busunfall am 29.02.2000. Ein sehr bewegender Tag, der hunderte Schüler, Eltern und uns Lehrer in helle Aufregung versetzte. Die Medienpräsenz war vermutlich einmalig für die Schulgeschichte. Zum Glück ging alles doch noch glimpflich aus.
  • Das „Sommermärchen“ der Fußball-WM 2006 brachte einen beeindruckenden Tag für die Schulgemeinde. Wir traten bei der Mini-WM in Gotha als Italien mit großem Fan-Block an, der uns bis ins Finale brachte. Im Spiel unbesiegt, wurden wir im 9-Meter-Schießen am Ende Zweiter.
  • Diese wundervolle Stimmung kippte nach den Sommerferien ins Gegenteil um. Die Schließungspläne des Schulträgers (ab 2007 kein Abitur mehr!) setzten eine überwältigende Welle der Solidarität in der Region frei. Die folgenden Wochen und Monate waren gekennzeichnet von einer Reihe intensiver Diskussionsrunden und Veranstaltungen, die – trotz aller Emotionen – mit sachlichen Argumenten Widerstand leistete. Am Ende stand der „Sieg“ der Vernunft gegen die Unvernunft (ein Höhepunkt war zweifelsohne die große Demo auf dem Marktplatz am 10.11.2006). Eine für mich unvergessliche und sehr emotionale Zeit. Herzlichen Dank allen „Rettern“!
  • Die USA-Reise von Schüler der Oberstufe, die leider bisher einmalig geblieben ist und erst auf Initiative einer Kollegin möglich wurde, nachdem wir einen Lehreraustausch für ein Jahr mit der Upper Dublin Highscool in Philadelphia durchführen konnten (2007/8 bzw. 2010).
  • Zweifelsfrei sind die Veranstaltung zur 450-Jahr-Feier (Feierstunde und Gala) ein ganz besonderes Highlight der Schulgeschichte. Fast alle Schüler und Lehrer waren am Programm in der Goldberghalle beteiligt. Ein wundervolles Ereignis, das in Erinnerung bleibt.
  • Ebenso sind die 29 Abiturfeiern in ihrer Summe unvergesslich. Besonders ist für mich – neben der ersten 1993 – die des Jahrgangs 2020, weil sie trotz Corona-Einschränkungen doch noch möglich wurde und in der Mühlburg ein einmaliges Ambiente fand.
  • Natürlich bleiben die vergangenen Krisenmonate seit März 2020 in ihrer Intensität und ihrer Problematik ganz besonders prägend für mich. Das Ringen um Akzeptanz aller Maßnahmen, die das gesamte gesellschaftliche Leben und damit auch das der Schule berührten und das noch tun, die Phasen der Distanz, des Wechselunterrichtes und eingeschränkter Präsenz u.v.m. haben auch mich herausgefordert und laufend vor Entscheidungen gestellt. Eine davon war dabei die mehrfache Verlängerung meiner Dienstzeit. Das habe ich gern getan. Es war gut zu wissen, dass man sich dabei auf die Mitstreiter (Lehrer, Eltern, Schüler) verlassen konnte.

Schule heute ist ein Ort des individuellen Lernens und der Kompetenzentwicklung. Schule wird geprägt durch Toleranz und Werte. Sie ist weltoffen und heimatverbunden zugleich. Die 1.530 Absolventen spiegeln dies, denn sie sind in ganz Deutschland, in Europa oder der Welt in verantwortungsvollen Tätigkeiten zu finden, aber manche von ihnen sind auch in der Region geblieben. Alles Gute, Euch allen!

Das Schulleben wird durch vielfältige Projekte und Veranstaltungen mehr als deutlich sichtbar. Die Corona-Krise hat dies zwar eingeschränkt, aber nicht vollständig außer Kraft gesetzt.

Die 5. Welle trifft uns zurzeit vermeintlich noch unspektakulär, was uns nicht nachlässig werden lassen sollte.

Das Ende der Pandemie ist noch offen, das „Sommerloch“ wird eine Pause einlegen, Fortsetzung im Herbst? Bleiben wir optimistisch!

Leider muss ich das Schiff „Gleichense“ jetzt verlassen, aber in der Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden wird. Herbert Grönemeyer besingt in seinem Lied „Land unter“ die Gefährlichkeit der Wellen eines wütenden Ozeans, die man durch Mut und Zuversicht überwinden kann, wenn man etwas nie verloren gibt und wachsam ist.

Ich danke deshalb allen, die mich auf dem langen Weg begleitet haben, die mich unterstützten und das Schulbild über die Jahre prägen halfen. Danke für die unvergessliche Zeit.

Drei Wünsche habe ich zum Schluss: Möge das Gymnasium Gleichense immer bestehen, möge es immer großartige Schüler, Eltern und Lehrer haben und möge es immer eine verschworene Gemeinschaft bleiben.

Quellen:

Böttcher, Julius, Die Geschichte Ohrdrufs, II. Teil, Ohrdruf 1956

Hinrichs, Hans-Jürgen, Geschichte des Gymnasium Gleichense in Ohrdruf 1564-2001,

Gotha 2001

Krügelstein, Friedrich, Nachrichten von der Stadt Ohrdruf und Umgebung, Ohrdruf 1844